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Surfer Girls: wieso erobern weniger Frauen die Wellen?

Es ist ein milder Sommermorgen an der französischen Atlantikküste. Das Wasser ist warm, die Luft klar, der Wind still. Die ersten Sonnenstrahlen fallen auf die Wasseroberfläche. Die Wellen brechen regelmäßig, sind weder zu hoch noch zu niedrig. Es sind die perfekten Bedingungen. Das haben auch die ersten Surfer und Surferinnen gemerkt. Langsam paddeln sie ins Lineup, dem Ort an dem die Wellen noch nicht gebrochen sind. Hier tummeln sie sich, warten auf die perfekte Welle. Und da ist sie schon. Schnell dreht sich eine Surferin um und paddelt mit ihren Armen so schnell sie kann. Sie erreicht die Welle im richtigen Moment und surft sie gekonnt. Am Strand stehen einige Menschen und beobachten sie. Dass eine Frau eine so große Welle surft, finden sie beeindruckend. Denn heute, so wie an vielen anderen Tagen, sind nur wenige Frauen im Lineup zu sehen. Aber wieso? Was hindert Frauen daran die Wellen für sich zu erobern?


Christina Wüst, 25, hat vor vier Jahren mit dem Surfen angefangen. ,,Als ich das erste Mal mit meinem Surfboard im Wasser war, wollte ich es einfach schaffen aufzustehen. Ich habe es immer wieder probiert und versucht es zu perfektionieren, bis ich müde war”. Dass in den Wellen oft nur Männer zu sehen sind, habe sie am Anfang gar nicht wahrgenommen. Erst nach einiger Zeit, sei es ihr aufgefallen. ,,Ich habe nur wenige Frauen kennengelernt, die surfen und mit voller Leidenschaft dabei sind’’.

Christina Wüst in Aktion. Sie erobert auch die größeren Wellen.


Körperliche Gründe gibt es laut Sebastian Fischer, Sportwissenschaftler und zuständiger Ausbilder für Wellenreiten an der Universität Kassel, dafür nicht. ,,Gerade beim Wellenreiten sind die körperlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau nur minimal, ähnlich wie beim Schwimmen zu dem eine Strukturverwandtheit aufgrund des Paddelns auf dem Board vorliegt". Auch die deutsche Profisurferin Valeska Schneider, 28, findet: ,,Natürlich muss man beim Surfen fit sein, also bestimmte körperliche Voraussetzungen erfüllen. Diese können Frauen aber genauso wie Männer haben. Ich denke, daher nicht, dass dies der Grund dafür ist, dass weniger Frauen surfen”.


Die gebürtige Bayerin surft seit ihrem 20. Lebensjahr und hat bisher zweimal die deutschen Meisterschaften im Longboarden gewonnen und zweimal das deutsche Nationalteam auf den ISA World Surfing Games vertreten. Seit Anfang des Jahres wohnt sie in Berlin und surft jeden Tag zweimal auf der stehenden Welle des Wellenwerks. Auch hier sind heute im Kurs nur 2 von 12 Teilnehmern weiblich. ,,Gerade auf dieser Welle sehe ich keinen körperlichen Grund, warum mehr Männer surfen als Frauen”, sagt Schneider. Welche Gründe stattdessen eine Rolle spielen, darüber kann Valeska Schneider nur spekulieren. ,,Ob es gesellschaftliche Gründe sind, weil junge Mädchen weniger an den Sport herangeführt werden, da er als zu gefährlich gilt oder Frauen wirklich mehr Angst haben, ist wirklich schwer zu sagen”.


Sebastian Fischer ist der Meinung, dass die Unterschiede eher soziologisch geprägt sind. ,,Sportarten werden im Kontext des Geschlechts völlig unterschiedlich eingeordnet". In der ,,Tradierung geschlechtsstereotyper Wertvorstellungen im Schulsport'' schreibt Elke Gramespacher, Leiterin Professur Bewegungsförderung und Sportdidaktik im Kindesalter an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, dass manche Sportarten eindeutig geschlechtsbezogen, als sogenannte weibliche bzw. männliche Sportarten, konnotiert würden. Anderen Sportarten werden männliche oder weibliche Attribute, wie männliche Kraft und weibliche Anmut, zugeschrieben. Die Konnotation würde sich dann auf die Wahrnehmung und auch auf die Bereitschaft, den Sport auszuüben, auswirken. Demnach gilt Surfen vielleicht nicht als stereotypisch männliche Sportart. Dennoch werden ihm womöglich männliche Attribute zugeschrieben, wie beispielsweise Kraft und Furchtlosigkeit. Das könnte sich auf Frauen auswirken.


Das kann sich auch Christina Wüst vorstellen. Sie ist der Auffassung, dass Frauen vor allem Angst vor dem Surfen, den großen Wellen und der Strömung haben und sich selbst zu wenig zutrauen. ,,Wenn Frauen dann bei größeren Wellen im Wasser sind und vielleicht Angst bekommen und der Surftrainer diese nicht nachvollziehen kann, verlieren sie womöglich eher die Lust am Surfen”, so Valeska Schneider. Aus diesem Grund wäre es ihrer Meinung nach hilfreich, wenn es generell mehr Surftrainerinnen gebe, die die Bedenken womöglich besser nachvollziehen können. Laut Schneider sei dies im Rapid Surfing (dem Surfen auf der stehenden Welle) bereits häufiger gegeben.


Ein weiterer Punkt sei auch, dass es bisher nur wenige weibliche Vorbilder gebe. ,,Wenn man sieht, dass auch andere Frauen die Wellen erobern, ist man automatisch mehr motiviert und traut sich”, findet Schneider. Auch Netzwerke von Frauen gibt es nur selten. ,,Dabei kann es sehr motivierend sein mit einer Gruppe von Frauen in die Wellen zu gehen und sich gegenseitig zu unterstützen”.



Profisurferin Valeska Schneider surft im Ozean und im Wellenwerk


Denn bisher surfen viele Surferinnen nur mit Männern zusammen. So auch Valeska Schneider. Das habe sie zwar nicht gestört, aber natürlich habe sie in der Gruppe von Männern erst einmal ihren Platz finden und Respekt gewinnen müssen.

Denn einige Männer würden Frauen unterschätzen. Sie würden sie oft noch wie Anfänger behandeln, egal auf welchem Niveau sie surfen. ,,Man hört beispielsweise, dass Männer sagen, dass sie nie mit einer Frau auf einen Surftrip fahren würden, weil sie sie dann nur davon abhalten würde hohen Wellen zu surfen”, erzählt Valeska Schneider. Diese Einstellung würde man auch im Wasser bemerken. ,,Ich bin auch schon oft nach ein paar Minuten aus dem Wasser gegangen, weil ich gemerkt habe, dass niemand mir zugetraut hat gute Wellen zu surfen. Ich hatte keine Lust mich beweisen zu müssen”, erzählt Christina Wüst. So sei es auch einigen ihrer Freundinnen ergangen. Sie hätten angefangen zu Surfen und waren zwei bis drei Jahre leidenschaftlich dabei. Irgendwann waren sie es aber leid permanent mit den Männern um die Wellen kämpfen zu müssen. ,,Sie hatten keine Lust mehr auf die Rangordnung im Wasser’’.


Ein Problem, dass auch Valeska Schneider kennt. Ihr wurden schon an vielen Surforten die Wellen von Männern weggeschnappt. Besonders auf den Kanaren und in Frankreich sei sie teilweise wie Luft behandelt worden. ,,Ich habe das Gefühl, dass die Frauen im Lineup teilweise nicht respektiert werden und sich schnell von den Männern unterkriegen lassen”.


,,Dabei sollten Frauen sich bewusst machen, dass sie genau das gleiche Recht haben im Lineup zu sein, auch wenn sie noch nicht so gut surfen können'', findet Schneider. Sie sollten gerade selbstbewusst an Männern vorbei paddeln und sie grüßen.


In immer mehr Ländern tuen Frauen dies und beanspruchen die Wellen für sich. In afrikanischen Ländern wie Marokko gab es bis vor einigen Jahren beispielsweise keine Surferinnen. Doch nun erobern Frauen wie Meryem El Gardoum die marokkanischen Wellen. Auch in Indien ist das Meer traditionell ein Ort für Männer. Das hat vor allem mit patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen zu tun, die Wassersportlerinnen nicht fördern. Frauen werden komisch angeguckt, beleidigt oder aus dem Wasser geholt, wenn sie surfen. Doch einige Frauen wie Ishita Malaviya haben sich dem entgegengesetzt und surfen erfolgreich.


Die Ungleichbehandlung von Surfer und Surferinnen lässt sich aber nicht nur in diesen Ländern finden. Erst ab 2019 erhalten Frauen und Männer bei den bedeutenden Wettkämpfen der World Surf League das gleiche Preisgeld. Die Angleichung des Preisgeldes zeigt zumindest, dass der Stellenwert des Frauen-Surfens immer weiter zunimmt. Vielleicht führt dies auch dazu, dass mehr Frauen sich für das Surfen interessieren und es ausprobieren. Denn wirkliche Gründe, warum weniger Frauen surfen als Männer, gibt es nicht. Valeska Schneider und Christina Wüst sind dafür die besten Beispiele.


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