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Männlich, jungfräulich, mörderisch

Sie hassen Frauen, weil sie Frauen sind. Weil sie keine Dates, keinen Sex und keine Beziehung haben, beleidigen die Incel-Männer das andere Geschlecht im Internet, begehen Gewalttaten bis hin zum Mord. Was unglaublich klingt, ist leider kein schlechter Krimi, sondern Realität. Die erste Frage, die sich natürlich sofort stellt ist: wieso hassen diese Männer Frauen so sehr? Ist es eine Gegenreaktion des verstoßenen Mannes auf die zunehmende Emanzipation der Frau? Kommen manche Männer nicht damit klar, dass Frauen ihren eigenen Willen haben können? Oder agieren die Incels aus psychologischen Gründen? Was sagt das womöglich über unsere Gesellschaft aus - sagt es überhaupt etwas aus?

Bisher ist wenig über die Incel-Bewegung bekannt. Erst langsam gewinnt die Gruppe an Aufmerksamkeit. Nach einigen Amokläufen in den USA oder Kanada, die in Verbindung mit den Incels stehen, scheint das Thema teilweise auch in den Mainstreammedien angekommen zu sein. Die Brasilianerin Bianca Pata Flores hat sich bereits vor zwei Jahren mit dem Thema auseinandergesetzt und ein Buch veröffentlicht. Hier gibt sie einen Einblick.


In deinem Buch ,, A loucura dos rejeitados: uma análise do movimento incel‘‘(dt.: „Der Wahnsinn der Abgelehnten: eine Analyse der Incel-Bewegung“) beschäftigst du dich mit der Incel-Bewegung. Kannst du kurz das Kernkonzept zusammenfassen?


Bianca Pata Flores: Also Incels, das steht für involuntary celibates (dt.: unfreiwillige Jungfrauen). Es geht um Männer, die unfreiwillig Jungfrauen sind bzw. keine sexuellen Erfahrungen haben. Das verunsichert sie und sie entgegnen diesem Gefühl mit Ablehnung, gegenüber Frauen, aber auch Ablehnung gegenüber den Männern, die es schaffen etwas mit Frauen zu haben. Für sie ist die Welt nach der 80/20 Regel konstruiert. 80% der Frauen haben etwas mit 20% der Männer. Sich selbst halten sich natürlich für die 80% der Männer, für die sich die Frauen nicht interessieren. Wieso Frauen dies nicht tun, verstehen die Incels nicht. Dass sie keine Partnerin haben, finden sie ungerecht. Sie denken, dass sie ein Recht auf Sex haben bzw. Frauen die Pflicht haben sie sexuell zu befriedigen. Da sie dieses Recht aber nicht einlösen, wollen sie die Frauen bestrafen. Aus diesem Gedanken heraus begehen sie Gewalttaten, morden sogar. Demnach geht es bei den Incels hauptsächlich um Ablehnung oder ehrlich gesagt eher um das Gefühl von Ablehnung, da es oft nur in ihrem Kopf existiert.

Wie sehen Incels Frauen im Allgemeinen?

Bianca Pata Flores: Für Incels gibt es zwei Arten von Frauen: die Stacys und die Beckys. Die Stacys sind die Mädchen, die viel Sex mit Männern haben. Sie sind nicht intelligent, aber sehr hübsch. Die Beckys hingegen werden als abschreckend beschrieben. Sie sind meist Feministinnen und ihr Aussehen wird als 6 von 10 beschrieben. Abschreckend können aber nicht nur die Beckys sein, sondern auch schwangere Frauen. Über sie wird dann im Internet geschrieben, sie wünschten sie könnten diese einfach nur umbringen, weil sie offensichtlich Geschlechtsverkehr mit jemanden hatten. Aber natürlich würden die Incels trotzdem etwas mit diesen Frauen haben. Generell kann man sagen, dass Frauen für Incels keine vollen Menschen sind, sondern ,,Untermenschen‘‘. Sie werden als ,,femoid‘‘ oder ,,female android‘‘, als eine andere Spezies, bezeichnet. Incels haben ihr eigenes Vokabular.



Wie sieht das aus? Kannst du ein paar Beispiele nennen?

Bianca Pata Flores: Es gibt etliche spezielle Worte. Beispielsweise werden unterschiedliche Wörter für unterschiedliche Formen von Incels benutzt. Sie beschreiben aufgrund welcher Eigenschaften die Männer von Frauen abgelehnt werden. Das kann bei den mentacels, mentale Gründe, den wristcels, körperliche Gründe, oder wie bei den curry- und ricecels rassistische Gründe haben. Frauen würden nach der Auffassung der Incels nämlich vornehmlich weiße Männer auswählen: Just be white, wird das im Incel-Vokabular genannt.

Aus welchem Grund hat sich die Bewegung deiner Meinung nach entwickelt?

Bianca Pata Flores: Ich denke, das hat hauptsächlich etwas mit der Persönlichkeit der Mitglieder zu tun. Sie nehmen das Gefühl der Ablehnung einfach sehr extrem wahr. Sie sind meist generell ziemlich unsicher und Ablehnung macht dies dann noch schlimmer. Für sie markiert sie das Ende der Welt. Dabei wird jeder von uns abgelehnt und lehnt auch andere ab. Aber das verstehen sie nicht. Man könnte sagen, dass sie ziemlich narzisstisch sind und viele auch kein stabiles Familienumfeld haben, aber eine offizielle psychologische Erklärung gibt es noch nicht.

Hat ihre Reaktion denn etwas mit der zunehmenden Befreiung der Frau zu tun?

Bianca Pata Flores: Auf jeden Fall. Die Emanzipation der Frau lehnen die Incels komplett ab. Sie sehen die Frau hauptsächlich als Frau und nicht als Person. Dass sie vermehrt finanziell und sexuell unabhängig ist und sich aus diesem Grund auch aussuchen kann, ob und welchen Partner sie auswählt, sehen sie als Gefahr. Diese muss verhindert werden.

Welche Rolle spielt das Internet in der Bewegung?

Bianca Pata Flores: Ohne Reddit und andere Websiten würde es die Incels so nicht geben. Nur im Internet können die User so anonym ihren Hass äußern. Sie posten Bilder mit Waffen und schmieden offen Pläne Frauen umzubringen. Durch das Internet haben sie eine Plattform gefunden auf der sie ihren Ärger und Hass äußern können und damit nicht allein sind. Die Mitglieder unterstützen sich in ihren Gedanken und Taten. Das hat globale Auswüchse angenommen. Es gibt immer mehr Incel-Mitglieder und eine zunehmende Anzahl von Straftaten wird gegenüber Frauen begangen. Oft tritt die Bewegung in Zusammenhang von Amokläufen auf. In Brasilien gab es beispielsweise letztes Jahr ein Amoklauf. Der Täter tötete zuerst ein Mädchen, das seine Avancen ablehnte, und danach weitere Menschen.

Wann hat die Bewegung begonnen?

Bianca Pata Flores: Das kann man nicht genau sagen, aber ein bekannter Fall ereignete sich beispielsweise 1989 in Montreal in Kanada. Der 25-jährige Marc Lépine tötete 14 Frauen und verletzte 14 weitere Personen, darunter vier Männer, bevor er sich selbst das Leben nahm. Mit der Begründung, er würde den „Feminismus bekämpfen“, betrat Lépine die Polytechnische Hochschule Montréal und schoss gezielt auf Frauen. Er hinterließ einen Abschiedsbrief, in dem er behauptete, Feministinnen hätten sein Leben ruiniert und das Massaker habe politische Motive. Ein weiterer bekannter Fall war Elliot Rodger, der in Kalifornien 2014 ebenfalls sechs Menschen tötete und später auch sich selbst. Er wurde danach online als Held gefeiert. Ein Video, in dem er erzählt, dass er die ganze Ablehnung satt hat und etwas dagegen tun wird, ging in der Community viral. In diesem Video sagt er auch, dass er mit 22 Jahren noch jungfräulich sei und noch nie ein Mädchen geküsst habe. Aus welchem Grund, habe er nie verstanden, da er ein totaler Gentleman gewesen sei. Also habe er der Gesellschaft das gleiche Gefühl zurückgeben wollen, dass auch er fühlte. Seinen Plan schildert er auch in seinem 141 seitigen Manifest ,,My Twisted World: The Story of Elliot Rodger‘‘ (dt.: „Meine verdrehte Welt: Die Geschichte des Elliot Rodger“). Er bestand aus drei Phasen: der Ermordung so vieler Menschen wie möglich, dem „Krieg gegen Frauen“, als Rache dafür, dass Frauen ihm Sex vorenthalten hätten und dem ,,ultimativen Showdown auf den Straßen“, bei dem er so viele Menschen wie möglich anfahren wollte. Seine Taten haben viele in der Community inspiriert. Selbst in Brasilien hatten Menschen Angst vor Nachahmern.

Kann man sagen, dass der Femizid, der Mord an Frauen, das größtes Ziel der Incels ist?

Bianca Pata Flores: Ja, das kann man so sagen. Aber um einen Mord zu begehen brauchen sie Mut. Diesen holen sie sich online. Auf Reddit oder eigenen Websiten radikalisieren sie sich, ein bisschen wie eine Terrorgruppe. Meiner Meinung nach könnte dieses männliche Aufbegehren gegen die Ablehnung der Frauen die nächste Form von Terrorismus sein.


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