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Die Diktatur der Uhr

Aktualisiert: 25. Nov. 2019

Tick tack, tick tack, die Zeit rennt. Jeden Tag hetzen wir von einem zum anderen Termin. Wir können es nicht verkraften, wenn die U-Bahn einmal zu spät kommt oder der Bus im Stau steht, denn dann ist unser heutige Zeitplan schon wieder zunichte gemacht. Der Alltag ist stressig, die Tage kurz. Die Dinge, die wir zu tun haben, warten nicht.


Die Zeit rennt permanent, das führt zu Stress. Immer mehr Menschen leiden an Burnout. Aber wieso? Gibt es wirklich so viel mehr zu tun als früher? Das mag sein, aber auch unser Verständnis von Zeit spielt eine Rolle.


Zentral für dieses ist die Uhr. Permanent erfragen wir die Zeit, können jedem Augenblick eine Zahl zuschreiben. Doch das war nicht immer so. Früher konnte der Sonnenstand, eine Kerzen- oder Wasseruhr nur eine ungefähre Auskunft über die Tageszeit geben. Aus diesem Grund wurde Zeit nicht als etwas Lineares angesehen, sondern als ein ewiger Kreislauf betrachtet. Pausen und nicht produktive Zeiten waren Teil des Prozesses.


Doch mit voranschreitender Zeit, wurde es als immer wichtiger angesehen, einheitliche, gleichlange Stunden zu schaffen. So wurde die erste mechanische Uhr um das Jahr 1300 erfunden. Zeit wurde unabhängig, sowohl von den Erscheinungen der Natur als auch von der Wahrnehmung des Einzelnen. Sie war folglich objektiv messbar.


So wurde sie kostbarer. Das führte zu einer Art Diktatur der Zeit. Zeitverschwendung wurde zur Sünde: ,,Der Müßige, der seine Zeit verliert, der sie nicht bemisst, gleicht den Tieren und verdient es nicht, als Mensch angesehen zu werden‘‘, hieß es. Zeitverlust und Geselligkeit, faules Gerede und Schlaf wurden auch zu späterer Zeit als absolut verwerflich angesehen.


So auch mit Beginn des Kapitalismus. Schon Benjamin Franklin, einer der Gründungsväter der USA, erkannte: „Time is money‘‘. Uhren in Fabriken und Bahnhöfen oder einfache Armbanduhren, sollten stets die Zeit kontrollieren. Pünktlich zu sein, wurde sogar zur deutschen Tugend.



Man trennte sich von der Vorstellung der zirkulären Zeit. Ein lineares Zeitverständnis rückte an oberste Stelle. Dieses geht von einer strengen Aneinanderreihung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus. Die Dinge im Alltag werden geplant und aufeinanderfolgend getan. Pausen und nicht produktive Zeiten sollen aus dem Prozess eliminiert werden.

Das prägte nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch die heutige Vorstellung von Alltag und Freizeit. Heutzutage wollen Menschen viele Dinge hintereinander oder gleichzeitig erledigen. Die Zeit steht permanent im Fokus.


Als ich letzte Woche mein Handy fallen ließ und es mir aus diesem Grund nicht möglich war permanent die Zeit zu überprüfen, bemerkte ich den Luxus, den das mit sich brachte. Ich konnte meinen Tag nicht mehr so effektiv wie möglich planen. Ich konnte keine Verabredungen mehr machen, die ich nur schaffen konnte, wenn ich auch wirklich die eine Bahn bekomme. Ich schaute auch nicht mehr permanent auf die Uhr beim Sport, um auch wirklich die 30 Minuten laufen zu gehen und nicht eine Minute mehr oder weniger. Ich schrieb von meinem Laptop, wenn ich irgendwo losfuhr und war da, wenn ich eben da war. Das brachte mir unglaublich viel Ruhe und eine Erkenntnis.


Vielleicht ist es nicht verkehrt ab und zu auch mal nach dem zirkularen Zeitverständnis zu leben; Pausen und nicht produktive Phasen in den Alltag zu integrieren. Nur weil wir genau wissen, wie viel Zeit vergeht, müssen wir unser Leben nicht permanent danach richten. Zeitverschwendung gehört in gewisser Weise auch zum Leben dazu. Und ist eine Zeit der Ruhe, des Nicht-auf-die-Uhr-sehens, einen Augenblick zu genießen, weil er schön ist, wirklich ungenutzte Zeit?

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