Der Himmel ist blau, die Sonne strahlt. Ich sitze unbeschwert in einem Zug von Bologna nach Venedig. Hier will ich den berühmten Karneval genießen. Die letzten Tage waren voller Eindrücke, neuer Menschen und Erlebnissen, die ich erst auf mich wirken lassen muss. Ich höre die italienischen Stimmen um mich herum und denke insgeheim, dass ich alles richtig gemacht habe. Was kann es schon Schöneres geben, als das Sommersemester in einer italienischen Studentenstadt zu verbringen? Vor all den Glücksgefühlen vergesse ich beinah auf mein Handy zu sehen, aber dessen Läuten ist einfach nicht zu überhören.
Als ich mein WhatsApp öffne, kann ich es fast nicht glauben. Auf einmal habe ich tausende Nachrichten. ,,Du musst sofort nach Hause kommen”, schreibt meine Mutter. Einige Sekunden später empfange ich die nächste Nachricht von meinen Großeltern: ,,Wenn du erst in Quarantäne kommst, dann kannst du nicht mehr aus Venedig raus und auch niemand zu dir“. Sofort beginne ich zu recherchieren.
In der Nacht von Samstag zu Sonntag beschloss der italienische Premierminister aufgrund einer Ausbreitung des Coronavirus in Norditalien einige Städte abzuriegeln. Darunter vor allem Dörfer in Venetien und der Lombardei. Ich beginne zu schlucken. Die Dörfer sind nicht weit weg, weder von Venedig noch von Bologna, wo ich die nächsten Monate verbringen werde. War es dann eine gute Idee ausgerechnet dorthin zu fahren? Vor allem zum Karneval, bei dem tausende Menschen dicht an dicht stehen?
Meine Angst vor dem Virus hält sich zwar in Grenzen, doch in Venedig festzusitzen, einer Stadt mit enormen Hotelpreisen, kommt für mich nicht in Frage. Die Entscheidung wird mir jedoch abgenommen, denn mehrere Medien berichten, dass der Karneval in Venedig abgesagt wurde. Sofort nehme ich den nächsten Zug.
Am späten Nachmittag sitze ich wieder in einem Café in Bologna und unterhalte mich mit meinen Freunden. In der Zwischenzeiten hat die Universität von Bologna die Vorlesungen in der nächsten Woche abgesagt. Doch das scheint meine Freunde nicht zu beeindrucken. ,,Natürlich sind meine Eltern besorgt und wollen, dass ich nach Hause komme, aber ich halte den Virus für ungefährlich”, erzählt mir eine deutsche Freundin. Einer meiner Freunde stimmt zu. ,,Notfalls bleiben wir ein paar Tage oder Wochen in Quarantäne. Ich lasse mir mein Erasmus nicht von dem Virus verderben“.
Auch die Italiener scheinen keine Angst vor dem Virus zu haben. Die Straßen sind voll, die Studenten genießen die freie Zeit in der Sonne. Nur meinen spanischen Mitbewohner scheint die Panik vor einer Ansteckung nicht mehr loszulassen. Er beschließt den nächsten Flug in seine Heimatstadt zu nehmen.
Für mich kommt das vorerst nicht in Frage. Die Flüge sind teuer und beinah ausgebucht. Zudem wüsste ich nicht, wann ich wieder nach Bologna kommen würde, denn die Lage scheint sich von Tag zu Tag eher zu verschlimmern, als zu verbessern.
Diesen Eindruck haben auch meine Familie und Freunde. Stündlich bekomme ich neue Nachrichten von unterschiedlichen Menschen. Die Medien in Deutschland berichten ununterbrochen über die Situation in Norditalien. Das weckt Aufmerksamkeit und erzeugt Panik, auch bei mir. Als ich die Artikel lese, entsteht ein neues Bild. Vor Ort nehme ich die Situation völlig anders wahr. Natürlich tragen auch hier Menschen Masken gegen den Virus, ansonsten erscheint die Situation jedoch normal. Aus der Perspektive der deutschen Medien klingt dies aber ganz anders. Das verunsichert mich und ich frage mich, wie gefährlich meine Situation wirklich ist. Ich beginne mich unwohl zu fühlen. So hatte ich mir mein Erasmus in Norditalien nicht vorgestellt. Sollte ich wirklich nach Hause fahren - aber was würde ich dort machen?
Ich entscheide mich dafür abzuwarten und die Situation weiterhin zu beobachten. Meine Mutter schlägt mir vor einem Koffer zu packen, um so schnell wie möglich Bologna zu verlassen, falls sich die Situation verschlimmert. Meine Großmutter schreibt mir, dass ich am besten auf Vorrat einkaufen solle. Folglich treffe ich Vorbereitungen. Meine Situation scheint mir absurd. Passend dazu schreibt mir ein Freund: ,,Und wie ist dein Erasmus in Quarantäne?”
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