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Die EU und Corona - schlägt in der Krise doch die Stunde der Nationalstaaten?

Aktualisiert: 10. Mai 2020

Eine Welt ohne die Europäische Union - das ist für viele, vor allem für die junge Generation - heute gar nicht mehr vorstellbar. Es gibt zu viele globale Überschneidungen. Probleme können nicht mehr nationalstaatlich gelöst werden. Das zeigt aktuell auch der Coronavirus. Doch gerade hier reagieren die europäischen Staaten nicht geeint. Wieso? Schlägt in der Krise doch die Stunde der Nationalstaaten? Bedeutet das ein baldiges Ende der EU? Magali Hübers, Mitglied der Jungen Europäischen Bewegung, spricht über die Rolle der EU in der Krise.


Seit zwei Monaten beschäftigt die Welt das Coronavirus. Alle EU-Mitgliedsstaaten leiden unter der Situation, wissen nicht, wie sie mit dieser und ihren Folgen umgehen sollen. Eine europäische Lösung gibt es bisher nicht. Absprachen zwischen den Mitgliedstaaten werden kaum getroffen, die EU reagiert nur zögerlich. Woran liegt das?


Magali Hübers: Das liegt vor allem an den Kompetenzen der EU. Egal, um welches Thema es geht, die EU ist immer darauf angewiesen, dass die Staats- und Regierungschefs, die ersten Impulse geben. Sie entscheiden, über welche Themen die EU beraten darf und welche Kompetenzen sie erhält. Erst dann kann die Kommission überhaupt einen Gesetzentwurf verfassen, der dann zu dem Parlament und zu den jeweiligen Ministern weitergeleitet wird. Anfang März haben sich die Staaten aber vor allem auf ihre eigene Situation und Bevölkerung konzentriert und reagiert, ohne sich groß abzusprechen. Sie haben ihre Landesgrenzen geschlossen ohne an eine europäische Lösung zu denken. Aus diesem Grund konnte die EU auch nicht reagieren.





Glaubst du, dass in der Krise die Stunde der Nationalstaaten schlägt? Dass zwar global bzw. europäisch gedacht wird, aber in dem Moment, in dem es um eine Bewältigung der Krise geht, auch um Menschenleben, Staaten dann doch vermehrt an sich selbst denken?


Magali Hübers: Ja, das kann sein. Das liegt aber auch daran, dass die Kompetenzen in der Gesundheitspolitik komplett bei den Nationalstaaten liegen. Die Länder sind dann selbst zuständig und verantwortlich. Ich denke, dass einige Länder, wie Spanien und Frankreich, einfach wussten, dass ihr Gesundheitssystem der Situation nicht gewachsen ist. Sie wollten dann erst mal ihre eigenen Probleme regeln. Man hat aber auch gesehen, dass Regionen bzw. Länder Solidarität gezeigt haben. Deutschland hat beispielsweise Erkrankte aus Italien aufgenommen. Aber das war nur ein Moment. Obwohl es eigentlich auch eine strukturelle Hilfe bzw. Zusammenarbeit sein könnte. Vorstellbar wäre beispielsweise ein Register, das zeigt, welches Land wie viele Betten hat und so eine Zusammenarbeit ermöglicht werden kann. Auch eine Koordination von Materialien und Schutzbekleidung wäre denkbar.


Welche Kompetenzen hätte man der EU geben müssen, um reagieren zu können?


Magali Hübers: Man sollte vor allem dem Parlament mehr Kompetenzen geben. Es ist gewählt worden, um die EU-Bürger zu repräsentieren. Gerade kann es aber nichts entscheiden. In Krisensituationen wie dieser muss es erst auf die Impulse der Staats- und Regierungschefs und der EU-Kommission warten. Natürlich kann es Statements geben und Positionen beziehen, aber die Entscheidungen treffen immer noch die Staats- und Regierungschefs der Länder. Das ist ein strukturelles Problem. Man möchte mehr EU, aber die Institutionen der EU, die von den Bürgern gewählt werden, erhalten wenige Kompetenzen.


Jetzt reagiert die EU vor allem mit finanziellen Hilfen.


Magali Hübers: Ja, es werden Gelder mobilisiert und Kredite aufgenommen. Die finanzielle und wirtschaftspolitische Zusammenarbeit der Staats- und Regierungschefs funktioniert gut. Im Gegensatz zu der politischen und sozialen Zusammenarbeit in den ersten Wochen der Krise. Denn bei der Frage, was danach kommt, kann jeder nicht mehr nur auf sich sehen. Denn es gibt immer noch eine gemeinsame Währung, einen gemeinsamen Markt und eine politische Union.


Italien fordert Solidarität und finanzielle Hilfen. Deutschland lehnt dies ab. Wie bewertest du diese Reaktion?


Magali Hübers: Die Niederlande und Deutschland haben sich am Anfang quergestellt. Das wurde stark kritisiert und das kann man meiner Meinung nach auch, weil sie auch viel von der EU profitieren. Sie müssen verstehen, dass wenn es ihren Nachbarn nicht gut geht, dann können sie sich selbst auch nicht auf dem Höhepunkt befinden. Um das zu verdeutlichen haben wir eine Aktion vor der italienischen Botschaft in Berlin gemacht und dazu aufgerufen Solidarität zu zeigen. Viele Bundestags- und Europaabgeordnete waren da. Das zeigt meiner Meinung nach, dass in der Politik schon vielen klar ist, dass es nicht hilfreich ist Unterstützung zu verweigern.


Hast du denn das Gefühl, dass die Menschen mitbekommen, dass die EU auch in der Krise hilft? Hat sich die Stimmung der Bevölkerung in Bezug auf die EU verändert?


Magali Hübers: In vielen Ländern ist das Vertrauen in die Regierung generell verloren gegangen. Auch die EU wird kritisiert, da man in so einer wichtigen Zeit nicht viel von ihr gehört hat. Das liegt aber auch daran, dass es keinen europaweiten Sender gibt, der beispielsweise die Pressekonferenzen von Ursula von der Leyen in allen nationalen Fernsehsendern ausstrahlt. Aus diesem Grund hört man auch wenig und man denkt, dass die EU gar nichts macht. Wenn es aber einen Rahmen wie einen Fernsehsender geben würde, wäre das vielleicht anders.


Oft wird gesagt, dass die EU bisher aus allen Krisen gestärkt hervorgegangen ist. Auf anderer Seite wird davon gesprochen, dass ein baldiges Ende der EU bevorstehen könnte. Welche Auswirkungen wird die Situation deiner Meinung nach auf die EU haben?


Magali Hübers: Ich sehe das auch etwas schwarz oder weiß. Entweder wird es jetzt eine große Veränderung geben oder es wird Konsequenzen für die EU mit sich ziehen. Denn die Situation hat gezeigt, dass es mit dem jetzigen Konstrukt kaum möglich ist auf solche Krisensituationen zu reagieren. Man muss diese Krise nutzen, um zu verstehen, dass wenn man die Ressourcen teilt und sich gegenseitig stärkt, es viel besser laufen kann.


Was muss die EU tun um aus der Krise rauszukommen?


Magali Hübers: Sie muss mehr Kompetenzen erlangen. Anders kann es nicht gehen. Deswegen muss man dem Parlament mehr Stimme geben und den Haushalt erhöhen. Diese Gelder muss man auch nachhaltig einsetzen.


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